BLOG 11 / 2011: Schuster, bleib‘ bei deinen Leisten
Herr Scholz, Gruppenleiter in einem süddeutschen Versicherungskonzern, wollte diese eine Chance unbedingt nutzen. Schon lange hatte er auf die Gelegenheit gewartet, sich endlich beweisen zu können. Er war sofort „Feuer und Flamme“ als sein Chef eines Abends zu ihm kam, um ihm die Projektleitung für die-Einführung einer neuen Software im Konzern vorzuschlagen. Kurze Zeit später hatte er erste Zweifel, ob er dieser vielschichtigen und umfangreichen Herausforderung überhaupt gewachsen war. Er wischte die Dissonanzen jedoch beiseite und dachte lieber an den nachfolgenden Karrieresprung.
Dann kam alles anders, und das Projekt wurde schließlich abgebrochen. Die Kosten für die externen Berater und die Lizenzen waren immens. Die Position von Herrn Scholz war schwer beschädigt, und die Beförderung blieb freilich aus. Herr Scholz selbst war am Boden zerstört. Hatte er doch alles gegeben, nächtelang geschuftet und war zu allen immer nett gewesen.
Nach dem ersten Schock kamen die Fragen: Wer trägt die Schuld? Die Software? Die externen Berater? Oder die veränderungsresistenten Mitarbeiter?[1] Oder etwa Herr Scholz selbst? Für ihn war die Sache freilich klar: Die Umstände waren unglücklich und den Rest haben die anderen schlichtweg sabotiert.
Seine Reaktion ist nur natürlich. Denn der psychologische Attributionsfehler (oder auch selbstwertdienliche Verzerrung) führt dazu, dass Erfolge einem selbst und Misserfolge anderen zugerechnet werden.[2] Von Herrn Scholz selbst kann folglich nicht erwartet werden, dass er als verantwortlicher und damit emotional beteiligter Projektleiter die ausschlaggebenden Ursachen klar benennen kann. Dazu fehlt ihm schlichtweg der analytische Abstand.
Hier braucht es einen Vorgesetzten, der willens und fähig ist, die Misserfolgsfaktoren zu identifizieren und zu bewerten. Sicherlich macht jeder einmal Fehler und Irren ist menschlich. Aber was ist, wenn die Fähigkeiten von Herrn Scholz einfach nicht ausreichen und selbst mehr Motivation keine besseren Ergebnisse zeitigt? Zur weiteren Analyse kann das Weinersche Attributionsschema mit der Unterteilung in stabile/instabile sowie internale/externale Ursachen für Erfolg bzw. Misserfolg im Sinne eines Ordnungsrahmens helfen.[3]
Je nach Attributionsschwerpunkt kann gezielt die Leistungsfähigkeit des Mitarbeiters unterstützt werden. Oder man weiß, was ihm in Zukunft nicht zugemutet werden sollte.
Dies kann aber nur mit einem Führungsstil gelingen, der auf individueller Mitarbeiterberücksichtigung und Integrität basiert. Es geht nicht darum, ein psychologisches Eignungsprofil für Herrn Scholz zu erstellen, sondern klar darzulegen, ob es tatsächlich an den Umständen oder fehlenden Fähigkeiten bzw. mangelnder Motivation lag. Wer transformational führt, kennt diese Zusammenhänge.[4] Mittels transformationaler Führung können auf Basis der individuellen Berücksichtigung der Möglichkeiten von Herrn Scholz seine Fertigkeiten entwickelt und die Motivation verbessert werden.
Ob die Führungskraft von Herrn Scholz darüber verfügt, ist uns nicht bekannt.[5] Es gibt zumindest zu denken, dass er Herrn Scholz diese schwierige Aufgabe übertragen hat. Richtig wäre es gewesen, Herrn Scholz entsprechend seiner Fähigkeiten einzusetzen und mit einfacheren Projektaufgaben zu beginnen. Schon alleine um Erfahrungen zu sammeln und erste Erfolge zu erzielen, die zeigen, wes Geistes Kind Herr Scholz angesichts besonderer Herausforderungen ist. Im Rahmen der transformationalen Führung kann dann eine abgestimmte Förderung greifen, die die individuellen Fertigkeiten weiterentwickelt. So werden Überforderungen vermieden und die Perspektiven bleiben auf allen Seiten realistisch.
Nachtrag: Herr Scholz arbeitet jetzt für einen anderen Versicherer. Seine neue Chefin kennt und berücksichtigt seine Fähigkeiten. Herr Scholz ist ein guter Gruppenleiter und wird es auch bleiben. Und damit ist er zufrieden.
[1] Vgl. den Blog zum Veränderungsmanagement „Allons enfants… auf die Barrikaden!“
[2] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Selbstwertdienliche_Verzerrung
[3] Vgl. Weiner, B. (1974) Achievement, motivation and attribution theory. Morristown.
[4] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Transformationale_F%C3%BChrung
[5] Dies ließe sich bspw. schnell mit dem „Multifactor Leadership Questionnaire“ (MLQ) feststellen.