BLOG 09 / 2011: Allons enfants… auf die Barrikaden!
Als das Change-Projekt begann, war noch alles ruhig: Der Vorstand, die Bereichsleitung, der Abteilungsleiter (der gleichzeitig interner Projektleiter war) und schließlich der externe Berater waren ganz entspannt. Die Notwendigkeit war offensichtlich und das Ziel erschien plausibel. Die Mitarbeiter in der besagten Abteilung waren auch ganz gelassen – denn sie wussten noch nichts von dem, was da auf sie zukam.
Und dann erfolgte diese eine Abteilungssitzung mit allem, was dazugehört. PowerPoint-Charts, Zahlenkolonnen, Methodendarstellungen, Zeitpläne. Alles da und sauber abgeleitet: Zeit fürs erste Schulterklopfen. Die interne Projektgruppe wurde bestimmt und Arbeitspläne wurden verteilt. Und es folgte das Massaker.
Nein, keine Angst! Die Herren von der Bereichsleitung und den Abteilungsleiter gibt es immer noch (der Vorstand war – wohlweislich? – nicht dabei). Sie sind auch noch gesund. Allerdings etwas beschädigt. Denn womit keiner gerechnet hatte, war die tsunamiartige Welle der Verunsicherung, die über die Mitarbeiter hereinbrach: Was wird aus meinem Tätigkeitsfeld? Was wird aus meinem Job? Kann ich anderswo unterkommen? Müssen wir unser Haus verkaufen? …
Der Widerstand formierte sich rasch: Emotionale (Wut, Ärger, Trauer), kognitive (Infragestellung von Sinn und Zweck) und verhaltensbezogene Barrieren (Boykott) wurden aufgebaut und befestigt. Die interne Projektgruppe diskutierte mehr über Sinn und Zweck des Ganzen als über die neuen Geschäftsprozesse. Das Change-Thema war TOP 1 auf jeder Agenda und schwappte schnell in andere Bereiche über. Im Ergebnis gab es tatsächlich eine Verschlankung der Arbeitsabläufe. Diese blieb allerdings weit unter dem angepeilten Ziel – sowohl zeit- als auch kapazitätsmäßig. Mit solch einem Ergebnis im Business-Case wäre niemand angetreten. Und der Beratungsauftrag endete übrigens mit diesem Piloten.
Der rechtzeitige Blick in die wirtschaftspsychologische Erfahrungspraxis hätte vieles retten können. Denn die Unsicherheit ist gerade im Arbeitsleben ein stark aversiver Reiz, den man zu vermeiden sucht. Die Kontrolle über das Geschehen im Hier und Jetzt und in der Zukunft erscheint den meisten Menschen als attraktiv. Der Ansatz der kognizierten Kontrolle[1] unterscheidet drei Stufen derselben.
Erklärbarkeit: Warum sind Veränderungen notwendig? Erfordert eine Beteiligung der Mitarbeiter an der Problem- und Lösungsdiskussion.
Vorhersehbarkeit: Was wird als nächstes (mit mir, der Abteilung etc.) passieren? Erfordert eine stringente Informationspolitik.
Beeinflussbarkeit: Wie kann ich auf die Veränderung einwirken? Erfordert eine aktive Teilnahme an der Gestaltung der Veränderung: Betroffene tatsächlich zu Beteiligten machen und dies nicht nur postulieren.
Erfahrungsgemäß ist es am besten, vor Beginn eines Change-Prozesses die Veränderungsbereitschaft einer Organisationseinheit zu messen. Dann können rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden, damit die Veränderung aus der Initiative der Mitarbeiterschaft heraus entsteht und nicht von oben aufgezwungen erscheint. Und auch in einem bereits laufenden Change-Prozess sollte regelmäßig und valide der „Unsicherheitsstand“ der betroffenen Mitarbeiter mit einem „ChangeMonitor“ bestimmt werden. Damit rechtzeitig und gezielt interveniert werden kann und die Barrikaden gar nicht erst entstehen.
[1] Zur Theorie der kognizierten Kontrolle siehe auch: Osnabrügge, G., Stahlberg, D. & Frey, D. (1985). Die Theorie der kognizierten Kontrolle. In D. Frey & M. Irle (Hrsg.), Theorien der Sozialpsychologie. Band III. Motivations- und Informationsverarbeitungstheorien. S. 127-172. Bern. ODER http://de.wikipedia.org/wiki/Kognizierte_Kontrolle und http://www.psychology48.com/deu/d/kognizierte-kontrolle/kognizierte-kontrolle.htm
Eine gute Beschreibung der kognizierten Kontrolle im Change-Kontext findet sich auch bei Frey, D. & Schnabel, A. (1999). Change Management – der Mensch im Mittelpunkt. In: Die Bank, 1/99, S. 44-49.